Auf der Suche nach der richtigen Balance
Für Inès Granvorka hat das Leben als Volleyballprofi bei Volero Zürich zuletzt viel von seinem Reiz eingebüsst. Beim TS Düdingen hat die 25-Jährige die Freude am Sport wiedergefunden – und trifft heute (20 Uhr, Leimacker) auf ihren Ex-Club.
Artikel aus den Freiburger Nachrichten von Michel Spicher
Inès Granvorka trägt einen Familiennamen, der für eine grosse Volleyballvergangenheit steht. Ihr Vater Séverin Granvorka ist Franzose, er spielte in den 1970er-Jahren über 200 Mal für die Grande Nation. Von 1980 bis 1983 war er in seiner Heimat Coach des Frauen-Nationalteams; von 2006 bis 2010 war er Trainer der Schweizerinnen. Mutter Mireille (Cuendet) war in den 80er-Jahren eine grosse Persönlichkeit bei Uni Lausanne und lief 163 Mal für das Schweizer Nationalteam auf. Und Inès’ älterer Bruder Frantz war jahrelang einer der besten Angreifer Frankreichs, gewann unter anderem WM-Bronze 2002 und wurde damals zum besten Aufschläger des Turniers gewählt.
Das Bewegungstalent
Dass auch die Tochter in einer so volleyballverrückten Familie früher oder später beim Volleyball landete, lag quasi auf der Hand. «Meine Eltern sind zwar sehr volleybegeistert, sie haben mich aber nie in diese Richtung gestossen», stellt Inès Granvorka klar. Als 13-Jährige habe sie parallel zum Volleyball auch Eiskunstlaufen, Zirkusakrobatik und Tennis gemacht sowie Klavier gespielt. «Für Volleyball habe ich mich entschieden, weil es ein Teamsport ist», erklärt das Bewegungstalent.
Ihre Karriere hat die Waadtländerin, die sowohl den schweizerischen als auch den französischen Pass besitzt, beim VBC Cossonay begonnen. Mit dem VBC Cheseaux machte sie in der Saison 2009/10 ihre ersten Schritte in der Nationalliga A. Die letzten sechs Jahre war Granvorka als Profispielerin beim NLA-Dominator Volero Zürich engagiert. Obwohl sie erst 25-jährig ist, kann sie schon einen beeindruckenden Palmarès vorweisen: Sechs Meistertitel und ebenso viele Cupfinals hat die 179 cm grosse Aussenangreiferin gewonnen, sowohl im Europacup als auch in der Champions League hat sie Einsätze absolviert.
Bei Volero ständig verfügbar
Bei Volero, wo der an der Zürcher Goldküste eingebürgerte russische Oligarch Stav Jacobi Jahr für Jahr viel Geld in sein Weltklasseteam steckt, stand Inès Granvorka zusammen mit Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen auf dem Platz. «Volero ist ein absoluter Top-Club mit hervorragenden Spielerinnen», sagt Granvorka. «Ich konnte in den sechs Jahren in Zürich enorm viel profitieren. Allerdings habe ich an der Seite der vielen Weltklassevolleyballerinnen auch realisiert, dass ich nie deren Niveau erreiche. Ich werde niemals eine Top-Spielerin sein, nie im Ausland spielen und bestimmt nicht viel Geld verdienen mit dem Volleyball. Was macht es da für einen Sinn, Profi zu sein?»
Granvorka vermisst das Sozialleben, Freunde, Unterhaltung. Sie wollte nicht mehr ihr ganzes Leben dem Sport unterordnen. «Volero bietet dir zwar viele Privilegien, erwartet aber im Gegenzug, dass du ständig verfügbar bist. Wenn es heisst, in einer Stunde gibt es Video-Studium, dann hast du pünktlich anzutraben, egal, wo du dich gerade befindest und was du gerade machst.» Das Hochschulstudium, von dem Granvorka träumte, liess sich nicht mit einem Engagement als Profi in Zürich verbinden. Wer beim international ambitionierten Volero spielt, soll seine ganze Energie in den Volleyball investieren, nicht in die Ausbildung.
Neue Herausforderungen
Das Verlangen, ihre Sport-Life-Balance besser ins Lot zu bringen, wurde bei der 25-Jährigen immer grösser. Ende Saison 2015/16 zog sie die Konsequenzen und verliess Volero. «Ich suchte einen Club, der es mir ermöglicht, Volleyball und Studium zu kombinieren. Es sollte ein ambitioniertes Team sein, mit dem ich etwas erreichen kann. Ich bin ehrgeizig und hasse es, zu verlieren», sagt Granvorka schmunzelnd. Sie wurde von zahlreichen Clubs umworben, beim TS Volley Düdingen hat sie schliesslich für zwei Saisons unterschrieben. Eingeschrieben hat sie sich im Herbst an der Uni Freiburg für ein Studium in Anthropologie (Menschenkunde) und Psychologie.
In Düdingen hat Inès Granvorka die Freude am Volleyball wiedergefunden. An ihr neues Leben fernab vom Volleyball-Mekka Zürich musste sich die Waadtländerin allerdings erst gewöhnen. «Bei Volero ist der Alltag durchorganisiert, alles wird dir abgenommen, damit du dich auf den Sport konzentrieren kannst. Sechs Jahre habe ich diesen Lifestyle verinnerlicht, ich musste erst wieder lernen, mein Leben selber zu organisieren», so Granvorka. «Noch habe ich nicht alles voll im Griff.»
Vom Beigemüse zum Koch
Mit dem Wechsel von Volero zu den Power Cats hat sich auch die sportliche Rolle von Granvorka verändert. In Zürich war sie eine von drei Kaderspielerinnen mit Schweizer Pass, die in erster Linie in den nationalen Wettbewerben zum Einsatz kamen. «Ich habe vom Reglement profitiert, das verlangt, dass in der NLA mindestens zwei lokal ausgebildete Spielerinnen auf dem Feld stehen müssen», sagt die Waadtländerin mit entwaffnender Ehrlichkeit. «Sonst wäre ich im Zürcher Starensemble kaum zum Einsatz gekommen. Ich war nur das Beigemüse.»
In Düdingen ist Granvorka die Rolle der Köchin zugedacht, die alle Zutaten mischt, würzt und leckeres Kraftfutter für die Power Cats hervorzaubert. «Mein Ziel ist es, im Team Verantwortung zu übernehmen.» Das sei ihr bisher nicht immer wunschgemäss gelungen. Sie habe einige Zeit gebraucht, um sich im neuen Team und mit den verschiedenen Spielsystemen zurechtzufinden. «Ich habe mir wohl auch selber etwas zu viel Druck gemacht, weil ich nicht enttäuschen wollte. Aber es wird immer besser.»
Wiedersehen mit Volero
Eine nächste Gelegenheit, ihre «Kochkünste» zu präsentieren, hat Inès Granvorka heute Abend. Um 20 Uhr gastiert ihr Ex-Verein in der Sporthalle Leimacker. «Volero war in den letzten sechs Jahren wie meine Familie. Es wird sich komisch anfühlen, auf der anderen Seite des Netzes zu stehen.» Die Zürcherinnen, die wegen der Teilnahme an der Club-WM verspätet in die NLA-Meisterschaft gestartet sind, hatten sich gegen Aesch-Pfeffingen schwergetan und nur 3:2 gewonnen. Für Granvorka sind sie dennoch die klaren Favoritinnen. «Es sind nicht die Spiele gegen Volero, die wir gewinnen müssen. Wichtiger ist, dass wir am Sonntag in Lugano gewinnen. Wir werden aber alles probieren, um Volero die Suppe zu versalzen.»